Mein Leben vor dem Unfall
Mein Name ist Brit. Ich hatte das Privileg in zwei Kulturen aufzuwachsen, der Deutschen und der Amerikanischen. Meine Eltern hatten alle Hände voll zu tun mit mir, ich war ein wildes Kind und ein rebellischer Teenager. Ich studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften und Politikwissenschaften. Daneben arbeitete ich halbtags für eine Fluglinie, das ermöglichte mir viel zu reisen.
Nach der Geburt meines Sohnes fiel der Entschluss gemeinsam mit meinen Eltern zu bauen. Wir zogen mit drei Generationen unter ein Dach. Durch das Geschenk von Freunden kam ich zum Fallschirmspringen und entdeckte meine grosse Leidenschaft dafür. Ich absolvierte die AFF-Ausbildung, machte meinen Lehrerschein, erwarb meine Tandemberechtigung und wurde AFF Sprunglehrerin. Im Sommer sprang ich in Deutschland, im Winter in den USA. Später durfte ich immer häufiger Schüler an Schweizer Fallschirmsprungschulen ausbilden. Ich hatte extrem viel Freude am Fallschirmspringen und bei der Ausbildung von Sprungschülern. Mein Sohn und ich waren oft miteinander auf Reisen. Wir waren bei Wind und Wetter in den Bergen und am Wasser unterwegs, schliefen gerne im VW Bus und im Zelt. Es war nur wichtig zusammen und viel draußen zu sein. Er war ein phantastischer Reisegefährte.
Wir hatten sehr viel Spaß miteinander.
Meine Freizeitaktivitäten waren Klettern, Skifahren und Reiten, wenn ich den Kopf frei bekommen wollte, ging ich durch Wald und Wiesen joggen. Ich tanzte leidenschaftlich gerne, am liebsten die ganze Nacht durch. Ich liebte die Arbeit in der Schweiz sehr, vermisste jedoch während meiner häufigen Abwesenheiten meine Familie immer mehr. Deshalb beschloß ich, zum Wintersemester 2006 wieder an die Universität zu gehen und mit meinen Eltern in ihrer Galerie zu arbeiten.
Die Katastrophe
Am 30.12.2006 sollte sich unser aller Leben dramatisch ändern. Ich fuhr zum Snowboarden zu Freunden eines Bekannten in die Schweiz. Dort kippte mitten in der Nacht der Schrankteil des Klappbettes, in dem ich schlief, auf mich herab. Der C5 Halswirbel wurde aus der Wirbelsäule gedrückt und quetschte das Rückenmark ab. Aufgrund der Uhrzeit und der Abgelegenheit des Ferienhauses gestaltete sich die Rettung langwierig, ich wurde erst in den Morgenstunden per Hubschrauber ausgeflogen und in der Klinik notoperiert. Einen Tag später wurde ich per Hubschrauber nach Deutschland geflogen, wo ich nochmals an der Wirbelsäule operiert wurde. Es folgten Monate in Krankenhaus und Rehabilitationsklinik. Der größte Teil meines Rückenmarks ist vernarbt, ich bin von den Schultern abwärts grösstenteils gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Extreme Muskelkrämpfe und ständige, starke neuropathische Schmerzen sind Dauerbegleiter. Ich brauche eine 24 Stunden Betreuung durch Pflegekräfte.
Tägliche Arbeit mit Therapeuten bringt Erleichterung und hat im Verlauf der Jahre kleine Fortschritte erzielt, ich hoffe auf weitere Verbesserungen. Ich träume immer noch davon, wieder zu laufen. Momentan läuft eine von meinem Jugendfreund Olaf ins Leben gerufene Spendenaktion auf der Crowdfunding Plattform „gofundme“ (https://de.gofundme.com/help4brit). Ziel ist die Wiederaufnahme des Trainings mit dem Exoskelett.
Meine Eltern geben mir im täglichen Leben Halt und Unterstützung. Sie erledigen Einkäufe und Botengänge, helfen im Umgang mit Ämtern und Versicherungen, fahren mich zu Arztbesuchen. Sie sind eine unverzichtbare Hilfe für meinen Sohn und sind für ihn und mich stets eine im Notfall ganz nahe, tatkräftige und moralische Unterstützung. Meine Eltern unterstützen uns mit aller Kraft.
Meine Wohnung, direkt über der meiner Eltern gelegen, hat einen Ausblick über ein kleines, grünes Tal und ist extrem hell. Ich kann an Wald und Wiese des gegenüber liegenden Hanges den Verlauf der Jahreszeiten verfolgen. Das Lachen und Kreischen der vielen spielenden Kinder der Nachbarschaft gibt mir das Gefühl, am Leben vor dem Haus teilzuhaben. Hier ist mein Refugium, mein Zuhause, meine Familie.
Jahrelang hing über uns das Damoklesschwert der Zwangsversteigerung meiner Wohnung. Ende 2018 wurde diese extrem belastende Situation endlich aufgehoben, ich darf in meinem Zuhause bleiben.
Im Schadensersatzprozess in der Schweiz wurde nach 12 Jahren endgültig in letzter Instanz gegen uns entschieden.